Deutsche Familiengeschichten und die Ukraine

Der koloniale Blick auf das östliche Europa ist historisch gewachsen
Ein Beitrag unseres Mitglieds Dr. Johannes Spohr, in:
Zeitgeschichte online, 16. November 2022

Erst seit der im Februar 2022 erfolgten großflächigen Ausweitung des Angriffskriegs, den Russland seit acht Jahren gegen die Ukraine führt, hat das Land einen Platz auf der Mental Map vieler Menschen in Deutschland erhalten. Was vorher allenthalben als Teil einer vermeintlich weit entfernten, als fremd erscheinenden Welt, bestenfalls als ein unter Russland subsumiertes »Niemandsland« bzw. Reservoir billiger Arbeitskräfte – dem Klischee nach vor allem Sexarbeiterinnen, Leihmütter und LKW-Fahrer – galt, rückte ins Zentrum des öffentlichen Interesses. Durch das Organisieren von Hilfstransporten, die Ankunft von Evakuierten und Geflüchteten sowie über die tägliche Berichterstattung bemerkten viele nun, dass die bisherige Distanz eher ein Ausdruck von Desinteresse als in der geografischen Lage begründet war: die Ukraine liegt nur einige wenige Autostunden von Deutschland entfernt. Darauf, dass auch der Blick in deutsche Familiengeschichten Bezüge zur Ukraine liefern könnte, wiesen Demonstrierende aus der ukrainischen Diaspora einen Tag nach Beginn der russischen Großinvasion auf einer Demonstration in Berlin hin: »Hast du vergessen, wo die Ukraine liegt? Frag deinen Opa«, war dort auf einem Schild zu lesen […]
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