Reflektionen zur deutschen Geschichte
Günter Demnig und Uta Franke
Günter Demnig wurde 1947 in Berlin geboren. Er studierte ab 1967 Kunstpädagogik und Kunst in Berlin und Kassel und war zwischen 1980 und 1985 künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Kunst der Uni Kassel. 1985 eröffnete er in Köln ein Atelier, wo er seitdem lebt und arbeitet. Seine erste öffentliche Kunstaktion war 1971, als er aus Protest gegen den Vietnamkrieg in Berlin-Kreuzberg eine amerikanische Flagge, auf der er die Sterne durch Totenköpfe ersetzte, ins Fenster hängte. 1990 zeichnete er in Köln mit einer Farbdruckmaschine den Weg der Sinti und Roma vom Sammelplatz bis zur Verladerampe nach und verlegte eine Platte mit der Inschrift: „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“. Damals wurde die Idee zu den „Stolpersteine“ geboren, als eine Zeitzeugin meinte: „Hier bei uns haben doch nie Zigeuner gewohnt.“ Im Oktober 2005 erhielt er für sein Projekt den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.
Das Projekt „Stolpersteine“ wird von Uta Franke koordiniert. Sie lebt seit 1981 in Köln, nachdem sie von einer 2-jährigen Haftstrafe in der DDR wegen „staatsfeindlicher Hetze“ „freigekauft“ wurde. Sie hat in der zweiten Hälfte der 70er Jahre mit einer Gruppe Gleichgesinnter systemkritische Flugblätter hergestellt. Von 1982 bis 1983 arbeitete sie als Redakteurin im „Deutschlandarchiv“ und absolvierte danach eine sonderpädagogische Ausbildung. Seit 2001 ist sie freiberuflich tätig im Bereich der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Sie koordiniert seit 2002 das Projekt „Stolpersteine“.
Literatur: Kirsten Serup-Bilfeldt: Stolpersteine. 128 Seiten, mit zahlr. Fotos; mit einem Beitrag von Elke Heidenreich. Kiepenheuer & Witsch, 04.2003.
Es gehörte zum Alltag des Nazi-Terrors („Un“-) Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen heraus zu treiben, um sie in Konzentrationslager zu deportieren, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Das gestohlene Eigentum ging an Deutsche, „Arier“ über, die nichts Beschämendes daran fanden, sich auf diese Weise zu bereichern. Nicht nur während der Naziherrschaft blieben sie im Besitz der gestohlenen Eigentümer, sondern auch nach Beendigung des Krieges, da die meisten legalen Eigentümer nicht zurückkehrten. Auch später nahmen viele keinen Anstoß an der Art und Weise, wie sie zu ihrem Besitz gekommen waren. Der Satz „Wir wussten von Nichts“ diente – noch bis heute – als rechtfertigende Begründung dafür, nicht einmal den Versuch unternommen zu haben, sich nach dem Schicksal der rechtmäßigen Besitzer zu fragen oder Nachforschungen in diese Richtung anzustellen. Die Menschen, die vor der Vertreibung, Verfolgung, Deportation und Ermordung durch die Nazis in den Häusern gelebt hatten, wurden einfach vergessen. Es gab sie schlicht und einfach nicht. Ihre Spuren wurden verwischt und über die einzelnen Schicksale wurde ein Schleier des Schweigens gelegt.
Dieser Umstand war Anlass für den Künstler Günter Demnig im Jahre 1997 das Projekt „Stolpersteine“ zu beginnen. Den Vertriebenen und Ermordeten sollen damit ihre Namen wieder zurückgegeben und sie wieder an ihren ursprünglichen Platz und in die Erinnerung der Nachwelt gebracht werden. Nach seinem Motto: „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, begann er Pflastersteine mit Messingtafeln vor den Häusern der Ermordeten zu verlegen. Auf den Tafeln liest man den Satz: HIER WOHNTE(N), sowie den/die Name(n) und Geburtsjahr des/der Ermordeten, das Jahr der Deportation und, wenn bekannt, das Todesjahr oder einfach „???“, wenn unbekannt. Der erste „Stolperstein“ wurde in Berlin-Kreuzberg verlegt. Inzwischen wurden etwa 8000 „Stolpersteine“ in zahlreichen Städten in Deutschland und Europa verlegt, und zwar fast immer von Günter Demnig persönlich.
Bei der Veranstaltung stellte Günter Demnig sein Projekt „Stolpersteine“ vor und Uta Franke berichtete über ihre Erfahrungen mit der DDR-Diktatur. Im Anschluss daran hatten die Teilnehmer Gelegenheit, mit den beiden Referenten ins Gespräch über die Hintergründe ihrer Arbeit zu kommen und mit ihnen über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Verarbeitung der Diktatur des Nationalsozialismus und des SED-Staates zu diskutieren.