Wie gehen Betroffene des Holocaust mit ihren traumatischen Erfahrungen um?
Dr. Gideon Greif
Dr. Gideon Greif, geb. 1951, israelischer Historiker und Pädagoge, stammt aus einer deutschsprachigen, jüdischen Familie und arbeitet als Historiker und Pädagoge an der jüdischen Gedenkstätte Yad Vashem in Israel. Dr. Greif widmet sich seit über 25 Jahren der Erforschung der Shoah. Im Zentrum seiner Recherchen steht die Geschichte des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau. Sein erstes, auf Deutsch veröffentlichtes Buch erschien 1995 im Böhlau-Verlag: ”Wir weinten tränenlos – Augenzeugenberichte der jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz” (auch Fischer TB 1999). 2000 Promotion an der Universität Wien. Gastprofessur am ”Center for Contemporary Judaic Studies” an der Universität Miami, Florida. Dr. Gideon Greif hat eine Vielzahl von Dokumentationen über die Shoah für den israelischen Rundfunk und das israelischer Fernsehen produziert.
Im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz haben die Nationalsozialisten mindestens 1,2 Mio. Menschen systematisch ermordet. Nur wenigen ist heute bekannt, daß die deutsche Lagerleitung hauptsächlich jüdische Häftlinge anhielt, Mitarbeiter der Todesfabrik zu werden.
Seit 1986 befaßt sich Gideon Greif mit dem Schicksal jüdischer Überlebender des Holocaust. Sein Spezialthema ist die Erforschung des jüdischen „Sonderkommandos“ in Auschwitz-Birkenau. Seine Gespräche mit Überlebenden veröffentlichte der Historiker in seinem Buch „Wir weinten tränenlos – Augenzeugenberichte des jüdischen Sonderkommandos in Auschwitz“ (Fischer Taschenbuch 1999). Sein Ziel ist es, die Geschichte des Kommandos möglichst genau mit Hilfe der Zeugenaussagen und Dokumente zu rekonstruieren. Er sagt dazu: Das teuflische ist, daß die Juden selber – gezwungenermaßen – dabei sein mußten beim Mordprozeß und zusehen mußten, wie ihre Brüder, Geschwister, Eltern, Familien … und ihr Volk, das jüdische Volk, ermordet wurde. Als Mitarbeiter mußten sie sich daran beteiligen, die Opfer zu belügen und zu täuschen. Ich glaube man kann sich etwas schlimmeres gar nicht vorstellen – und das war Absicht, kein Zufall oder ein Mangel an anderen Mitarbeitern. Da waren Tausende von anderen Häftlingen oder die SS hätte es selber machen können, aber es war eine Idee, nämlich, daß die Juden selber Schuld fühlten. Das paßte zu den Ideen der Nationalsozialisten, wie die Tatsache, daß die späteren Opfer manchmal ihre Fahrkarte nach Auschwitz selbst kaufen mußten. „Du mußt sterben, aber Du mußt auch bezahlen“. Oder daß einige Judenräte die Listen selber vorbereiten mußten, wer deportiert wird und wer nicht. Das paßte sehr gut in die Denkstruktur der SS-Leute, die Opfer in das Verbrechen zu involvieren, oder besser gesagt, die Schuld zu teilen, nicht nur Täter und Opfer, sondern alles gemischt. Das ist sehr typisch, charakteristisch, das ist zynisch, sadistisch, das ist brutal, das ist dämonisch, wie Primo Levi sagt. Soll sich mal jeder der Leser vorstellen, er oder sie müßte die Leiche der eigenen Mutter oder Frau oder Kinder selber aus der Gaskammer herausholen und verbrennen. Ich glaube, es gibt nichts schlimmeres als das.”